Ausweichpflicht und Wegerecht
 

In Deutschland wird im Verkehrsuntericht für die Straßen-Führerscheine leider immer noch viel zu viel von der "Vorfahrt" gesprochen.
Wer hat Vorfahrt ? heißt es in den Prüfungsfragen. Besser wäre: Wer hat Warte- oder Ausweichpflicht ?  !!!
Das hat zurfolge, daß wir ein Denken anerzogen bekommen, welches nicht gerade in Richtung defensives Verhalten geht.
Man kann dies tagtäglich sehr leicht im Straßenverkehr beobachten.
Und wenn 's dann gekracht hat, heißt es immer: "Der hat mir die Vorfahrt genommen".
Eigentlich hat
aber der Beschimpfte seine Wartepflicht verletzt.

Die Regelmacher der Seefahrt sind da um einiges schlauer:
Ein absolutes Recht auf Vorfahrt (in der Seefahrt eher Wegerecht genannt) kennt das Seeverkehrsrecht nicht.
Hier geht es schon mal begrifflich in 1.Linie um die Ausweichpflicht und nicht darum wer Vorfahrt oder Wegerecht hat, nach dem Motto "scheißegal, wie der Andere damit zurecht kommt".
Erst in 2.Linie kommt dem Wegerecht Bedeutung zu. Siehe hierzu ganz unten.

Wer einen Deutschen Führerschein für Seefahrt gemacht hat weiß, daß in den Prüfungsfragen in der Regel immer nach dem Ausweichpflichtigen gefragt wird.
Das damit absichtlich vermittelte Defensiv-Verhalten ist mit Sicherheit sinnvoller als das im Straßen-Verkehrsunterricht anerzogene Rechthabergetue.
Prozentual
karambolieren wesentlich weniger Boote als Autos.


In der weltweiten Seefahrt ist nichts unlogisch und auch nichts unverständlich.
Schlaue Köpfe haben sich denselben nicht umsonst zerbrochen und schlaue Regeln aufgestellt,
damit die weniger Schlauen nicht so leicht folgenschwere Fehler machen können.

Leider aber kommt es immer wieder vor, daß die Unschlauen die von den Schlauen ersonnenen Regeln trotz Führerschein-Prüfung nicht kennen oder nicht beherzigen.

Und so haben sich weitere Schlaue gedacht:

Alles was einer nicht weiß - hat seinen Preis....
(Je mehr umso ertragreicher !)

Um aber Ihre Urlaubskasse nicht unnötig strapazieren zu
müssen, sollten Sie folgendes wissen und auch befolgen:

Wer an einer Engstelle gegen die Strömung fährt hat Wartepflicht und kommt somit nicht sofort dran.
Erst wenn kein Gegenverkehr mehr zu sehen ist, kann er passieren.

Wer
mit der Strömung fährt, hat Wegerecht, vorausgesetzt, es ist freie Fahrt
und die Engstelle wird nicht gerade von einem
entgegenkommenden Unwissenden oder nautischen Rüpel befahren.

Das Ganze ist auch logisch, und vor allem überhaupt nur so praktikabel:
Wenn 
nämlich der Strom von hinten kommt, kann ein Boot - wie wir alle wissen - ganz schlecht stehen bleiben, um so den Gegenverkehr abzuwarten.
Dagegen können alle Boote, die den Strom von vorne haben, sehr leicht aufstoppen und sich bei kleiner Fahrt auf der Stelle halten.
So weit so gut. Man hat sich bei der Erschaffung dieser Regel wirklich was gedacht.

Wenn aber jetzt das Wasser unter der Brücke gerade stillsteht, kommt ein Problem auf uns zu - die Regel sagt:

Wartepflichtig ist der, der vor dem Kentern der Strömung mit ihr gefahren wäre - also - in naher Zukunft gegen sie fahren würde.

(Auch ganz logisch: Weil ja die Zeit nicht stehen bleibt und wenn man sehr langsam unterwegs ist oder die Engstelle ziemlich lang ist, muß man sich einfach auf die nahe Zukunft einstellen)

Tatsache ist, daß es an dieser Stelle eigentlich immer strömt, nur halt gerade dann nicht, wenn der Strom im Begriff zu kentern ist.

Hier beginnt jetzt das Problem:
Wir können ja in diesem Moment nicht wissen was vorher war, weil wir eben noch nicht da waren.
Nachdem nun eigene Feststellungen nicht möglich sind, werden wir schnell festmachen, aussteigen,
ins Postamt, zum Bäcker, Zeitungsstandl, Eismann oder Hotelportier laufen und fragen, wie die Strömung vorhin war.

Wahrscheinlich wissen die es aber auch nicht und so bleibt uns, um sicher zu gehen, nur abzuwarten, bis es wieder strömt.

Oder -  wir haben 's eilig und setzen voll auf Risiko:
Wenn von der anderen Seite sicher kein Gegner zu sehen ist und auch sonst keiner schaut, fahren
wir einfach los ..... aber auf keinen Fall zu schnell !

Kommt aber doch
mal ein Gegner, sollte - mangels Klarheit über die Strömung - versucht werden,
sich über das Wegerecht "friedlich zu verständigen".


In jedem Fall sollten Sie aber sicherheitshalber immer davon ausgehen,

daß der Gegenverkehr-Skipper diese Zeilen noch nicht gelesen haben könnte ....



Wobei wir wieder beim nautischen Defensiv-Verhalten wären .....

Nicht zu vergessen ist, daß im Seeverkehr der Wegerechtler verpflichtet ist, Kurs und Fahrt unverändert beizubehalten,
und zwar unbedingt so lange, bis er unzweifelhaft erkennen kann, daß der ausweichpflichtige Gegner seinerseits der Ausweichpflicht nicht nachkommen wird.
Sobald eindeutig klar ist, daß der Ausweichpflichtige nicht ausweichen wird und auch garnicht mehr kann,
ist für den Kurshalter der Moment gekommen, das "Manöver des letzten Augenblicks" einzuleiten.
Siehe hierzu einschlägige Literatur, z.B. Seemannschaft oder andere Lehrbücher.

So gesehen wäre es auch im eigenen Interesse sinnvoll, alle Ausweich- und Wegerechts-Regeln zuverlässig zu beherrschen, weil:
Ein Ausweichpflichtiger muß sein Manöver sicher planen können und darf nicht gezwungen werden, auf unberechenbare Manöver des Kurshalters reagieren zu müssen.
Man denke hier besonders an die Situation in der Nacht oder bei verminderter Sicht.
Wenn die Kurse der Schiffe nur an ihren Positionslampen erkennbar sind, wird es besonders schwierig,
einem unentschlossen herumeiernden Kurshalter sicher auszuweichen.
Wenn 's gekracht hat:
Ein Kurshalter, der nicht Kurs gehalten hat, wird genauso bestraft wie ein Ausweichpflichtiger der nicht ausgewichen ist.

Also, passen Sie gut auf und lassen Sie in Ihrer Nähe befindliche Boote und Schiffe niemals aus den Augen,
auch wenn Sie der Meinung sind, der Andere müsse Ihnen ausweichen.


Übrigens, im Bereich der Brücke (logisch!) und überhaupt innerhalb 300 mtr. vom Ufer ist (ob logisch oder nicht) Gleitfahrt einfach verboten.
Kontrolliert wird vorzugsweise an Durchfahrten zwischen Ufern, die weniger als 600 mtr. breit sind.
Unklarheiten kann ein Blick in die Seekarte beseitigen, für ihre Schätzungen haben schon viele Skipper "Lehrgeld" bezahlt.
Die Zuwiderhandlungs-Gebühren lagen im Sommer 2012 bei 1.000,- Kn und mehr + Verwaltungskosten !!
Billiger wird 's sicher nicht - also besser Gas weg !!
Ihr Urlaubsbudget ist an der Tankstelle wesentlich besser angelegt als bei der Polizei !!